Im 4. Teil der social distancing Kolumne geht es um nervige Video-Chats und dumm wirkende Gesprächspartner. Angst ist dennoch dabei
Und wieder beginnt eine Woche im social distancing. Nach einem ganzen Wochenende ohne direkten Kontakt zu Freunden und Familie. Aber social Distel-Dinger wissen sich ja mit aktueller Technik zu behelfen. Skype, Zoom, Microsoft Teams, Jitsy, Facetime, Messenger Dienste… alles theoretisch tolle Möglichkeiten im Kontakt zu bleiben. Und jede und jeder hat einen persönlichen Favoriten. Bedeutet: Bevor Mensch das andere social Distel-Ding zu Gesicht bekommt, vergeht meist schon eine halbe Stunde in der sich geeinigt wird, noch jemand einen anderen Vorschlag hat und grundsätzlich über die Vor- und Nachteile der jeweilig verwendeten Anwendung diskutiert wird. Wenn dann endlich die Verbindung steht, sitzt man sich gegenüber und versucht miteinander zu sprechen. Nicht sonderlich einfach, da ständige Störungen das Bild einfrieren lassen und das Gespräch verzerrt wiedergeben. In Verbindung mit der Verzögerung durch die lange Leitung kommt es einem letztlich so vor, als wäre die andere Person seit dem letzten Real-Kontakt komplett verdummt. Dieser fragende Gesichtsausdruck während das Gegenüber versucht dem Gespräch zu folgen und dann irgendwie vernuschelt antwortet. Oh, wie schön war das damals, als klar war, dass entweder die mangelhaft entwickelten kognitiven Fähigkeiten oder die Unaufmerksamkeit des Gegenübers die Kommunikation unmöglich machten. Ein kurzer Körperkontakt konnte zumindest letzteres meist beheben.
Heute ist es die Technik die uns hilft aber auch frustriert. Sie erlaubt uns, trotz aller Frustration, einen Blick in die Wohnzimmer der anderen social Distel-Dinger zu werfen. Ein Blick in ihre Gesichter zeigt uns dann auch, dass es eben nicht nur die Technik ist, die uns frustriert. Die ganze Situation ist frustrierend. Frustrierend dynamisch. Dynamisch, dieses Wort erlebt ein neues Verwendungshoch. Mit „dynamisch“ versuchen Politiker und Verantwortungsträger die Situation zu beschreiben, weil sie die Worte: unübersichtlich, unberechenbar, unvorhersehbar, in rasanter Entwicklung… vermeiden möchten.
Und diese dynamische Situation erleben wir social Distel-Dinger auch selbst. Im einen Moment möchte man sich noch streiten. Über was auch immer. Irgendeine Kleinigkeit wie eine falsch eingeräumte Spülmaschine oder andere als grundsätzlich anzunehmende Unfähigkeiten oder gar Ungerechtigkeiten des mit eingesperrten Social Distel-Dings bringen die ganze Frustration an die Oberfläche. Wie soll es gehen mit diesem zu unfähig die Spülmaschine richtig einzuräumenden social Distel-Ding auch nur noch eine Stunde das Dach über dem Kopf zu teilen, fragt Mensch sich in dieser Situation dann vermutlich. Doch dann hustet das Gegenüber zweimal, und zwar trocken. Plötzlich ist die Spülmaschinen-Situation irgendwie nicht mehr wichtig. Vergessen ist der Ärger und die Frustration. Es bleibt nur die Sorge. Nicht einmal Streit ist mehr zu planen. Alles ist in der Schwebe. Alles ist dynamisch.
Allerdings erinnern solche Situationen auch daran, warum Menschen jetzt zu social Distel-Dingern werden und ihre Stacheln weiter ausbreiten um die anderen auf zwei Metern Abstand zu halten.
Es ist anstrengend und frustrierend, aber es ist notwendig. Denn wenn wir uns alle daran halten, können wir bald unsere Freundschaften wieder so pflegen, dass wir wissen ob unser Gegenüber einfach ein bisschen schwer von Begriff oder nur abgelenkt ist. Dann haben wir wieder die Kapazitäten nach Lust und Laune Spülmaschinen-Einräum-Regelungen aufstellen und ihre Einhaltung einzufordern. Und Sorgen wird uns vermutlich die ersten Tage nur die Frage machen, ob wir wirklich den Herd ausgestellt haben.
Also dann los: Auf eine weitere Woche social distancing, ihr social Distel-Dinger! In Bayern jetzt bis mindestens zum 19. April.
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