Die BRD leistet sich mit Stuttgart 21 und dem neuen Berliner Flughafen die derzeit größten Infrastrukturprojekte Europas. Aber auch damit wird das reiche Land nicht glücklich. Noch bevor der Bau von Stuttgart 21 begonnen hat, wird er schon um 2 Milliarden teurer, und beim Berliner Flughafen ist der Eröffnungstermin bereits zum vierten Mal geplatzt, von den Mehrkosten gar nicht zu reden. Die Öffentlichkeit entrüstet sich über „unfassbare Baumängel“, über „ zu kurze Rolltreppen“, „Kabelsalat“ und rumänische Billigarbeiter, die in ihrem Unverstand an unserem hochmodernen Flughafen nur „Pfusch“ bauen. Und nicht zuletzt über Politiker, die das alles zu verantworten haben, aber „es“ angeblich nicht können.
Was da staatlicherseits geplant wird und mit welchen Mitteln die Vorhaben umgesetzt werden, ist der Öffentlichkeit in ihrem Anspruch auf den Erfolg der deutschen Prestigeobjekte freilich so selbstverständlich, dass eine nähere Befassung damit gar nicht in Betracht gezogen wird.
Das Bauvorhaben in der deutschen Hauptstadt Berlin ist einzigartig. Zwar ist es ja nicht gerade so, als ob die Stadt bislang nicht aus der Luft zu erreichen gewesen sei. Mit ihren zwei funktionierenden Flughäfen ist sie eigentlich ganz gut bestückt. Aber der neue Flughafen soll ja nicht einfach ein Bahnhof zum Ein-, Aus- und Umsteigen von Flugpassagieren werden, sondern Deutschlands „Tor zur Welt“, „Internationales Verkehrsdrehkreuz“, „Regierungsflughafen“, „Signal für den Aufbau Ost“, „Impulsgeber in der Mitte Europas“ und „Wirtschaftsmotor“. Es ist schon interessant, was für Aufträge und Ambitionen sich mit einem Luftlandeplatz verbinden lassen. Unter einer architektonischen Visitenkarte der Nation, einem Luft-Drehkreuz europäischer Dimension und unter einem Geschäft, das den kriselnden Osten hochzieht, tun es die Bauherren – der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg – nicht. Das alles soll ihnen der Flughafen leisten.
Berlin will eben nicht nur die Hauptstadt sein, in der die Richtlinien der europäischen Politik formuliert werden, es will es in jeder Hinsicht, also auch wirtschaftlich und kulturell, mit den anderen Hauptstädten aufnehmen können. Es soll die europäische Metropole werden, um die man „nicht herumkommt“.
Dazu braucht der neue Flughafen erst einmal Größe. Das Ding heißt also Großflughafen und muss zur europäischen Drehscheibe avancieren, die anderen Drehscheiben Passagiere und Umsatz wegnimmt. Dann wird der Flughafen zweitens zur Quelle von neuem Geschäft über den Lufttransport hinaus: zur riesigen Shopping Mall, zum Kongresszentrum und sein Umfeld zum attraktiven Standort globaler Unternehmen. Als solcher Faktor in der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte soll er das Gut in die Region bringen, das sie nach Meinung des politischen und wirtschaftlichen Sachverstandes am dringendsten braucht: rentable Arbeit.
Damit der Flughafen all das leistet und darüber hinaus Macht und Reichtum der Republik mit Stil und Geschmack repräsentiert und Staatsgästen, Wirtschaftsführern und Touristen aus aller Welt verdeutlicht, welch ausgezeichneten Ort sie aufsuchen, wenn sie in Berlin Station machen, muss er drittens auch noch im Sinn der höheren, kulturellen Nationenkonkurrenz mithalten können: Er braucht eine einmalige Architektur, gewagt, technisch innovativ und zugleich deutsch zuverlässig. Das Terminal muss Staatsgäste repräsentativ empfangen, normale Passagiere zügig abfertigen, ihnen angemessene Annehmlichkeiten und jede Menge Einkaufsgelegenheiten bieten. Die Anlage soll bei ihrer Eröffnung ausgelastet sein, aber nicht zu klein, muss mit ihrem Erfolg mitwachsen können, aber nicht überdimensioniert ausfallen usw.
Kein Wunder, berichtet die FAZ Anfang des Jahres, dass der Baufortschritt von „dauernden Änderungswünschen“ des Bauherren begleitet wird. „Eine wichtige Ursache des Debakels waren ‚gravierende Eingriffe‘ und ‚massive Änderungen‘ in der Planung durch die Flughafenbetreiber.“
Wenn es darum geht, das Ideal eines unschlagbaren Konkurrenzmittels architektonisch zu fassen, müssen eben auch noch während der Bauphase die zu erwartenden Passagierzahlen nachjustiert sowie alle anderen Haken und Ösen des Geschäftsgangs im Luftverkehr bedacht und per Nachplanung berücksichtigt werden.
Für dieses Projekt ist so schnell nichts zu teuer, Kosten und Mühen werden nicht gescheut. Zugleich soll der Flughafen aber ein gigantisches Geschäft werden. Die Kosten für diesen Hybrid aus Staatsrepräsentation, Massentransport und Regionalentwicklung müssen sich lohnen. Das herzustellen trauen sich die Bauherren zu.
Vor allem aber wollen sie sichergestellt sehen, dass nicht erst der Betrieb, sondern schon der Bau des Flughafens zu einem profitablen Geschäft für die örtliche Wirtschaft wird, das Projekt sich als Wirtschaftsmotor für den Standort Berlin bewährt. Da liegt dann zwar der Korruptionsverdacht bei der Auftragsvergabe nahe, wenn etwa der staatliche Auftraggeber, wie sich im Nachhinein herausstellt, ein offenbar unfähiges Planungsbüro beauftragt haben soll. Die Frage liegt ja auf der Hand, warum statt all der in der Marktwirtschaft per definitionem hoch kompetenten Unternehmen ausgerechnet dieser Versager gewählt wurde, und ebenso der Verdacht, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ vom 1. Februar sind im Nachhinein schlauer als vorher die verantwortlichen Politiker:
„Die Planungsgruppe BBI stand ohnehin schon in der Kritik, weil sie nicht nur die Details des Baus plante, sondern gleichzeitig dafür zuständig war, die Fortschritte auf der eigenen Baustelle zu überwachen. Diese Doppelfunktion halten viele Vergaberechtsexperten für problematisch. Beim Bau der Start- und Landebahnen hatte das Oberlandesgericht Brandenburg im Januar 2007 entschieden, dass die beiden Aufgaben getrennt voneinander sein müssen.“
Beste Korruptionsvoraussetzung also! Aber die Berliner haben Vorsorge getroffen. Sie wussten, dass bei diesem Projekt Korruptionsvorwürfe nicht ausbleiben würden; wie eben stets, wenn der Staat seine Wirtschaft mit großen Verdienstmöglichkeiten bedenkt und – wie stets – mit deren Leistungen unzufrieden ist. Deshalb haben sie sich beizeiten ein Ökosiegel der Korruptionsfreiheit eingekauft.
„Die BER-Gesellschaft selbst hat 2005 mit der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International einen Integritätspakt geschlossen. Seither prüft ein externer Mitarbeiter beim BER, ob die Vergabeverfahren korrekt ablaufen – allerdings nur auf den Flughafen beschränkt. ‚Es gab bisher keinen Anlass zur Klage‘, sagte Transparency-Chef Christian Humborg den Potsdamer Neuesten Nachrichten.“
Als aber nach mehrmaliger Verschiebung der für März 2013 mit großem Pomp geplante Eröffnungstermin platzt, wird das Vorzeigeprojekt BER trotzdem zum „Skandalflughafen“. Nicht weil angesichts der „20?000 Baumängel“, die BILD aufzulisten weiß, der ganz normale Wahnsinn marktwirtschaftlicher Kooperation in den Focus der Öffentlichkeit rücken würde, sondern weil sich die deutsche Hauptstadt in den Augen der Presse mit ihrem Leuchtturmprojekt gründlich blamiert. Statt ein Zeugnis höchster Ingenieurskunst und deutscher Organisationsfähigkeit abzulegen, beschädigt die unfertige Baustelle den internationalen Ruf Deutschlands.
Die großartige Investition in die Zukunft ist jetzt auf einmal nichts anderes mehr als eine gigantische Verschwendung „unserer Steuergelder“. Versagt hätten, wie es sich in der Demokratie gehört, wenn etwas daneben geht, die verantwortlichen Politiker, auf die „wir“ uns doch verlassen können müssen. Sie hätten es an Aufsicht, Überblick und insgesamt an Erfolg fehlen lassen. Das verlangt Konsequenzen und die werden auch konsequent gezogen: Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der FBS, der regierende Bürgermeister von Berlin entlässt sich selbst und überlässt das Amt seinem Co, dem Ministerpräsidenten von Brandenburg. Platzeck verspricht, was bisher gefehlt hat, nämlich entschlossene Führung und stellt zur Bekräftigung seines ernsten Willens in Aussicht, bei weiteren Blamagen nicht nur als Aufsichtsrat, sondern gleich als Ministerpräsident zurückzutreten. Schließlich wird der ebenfalls entlassene Geschäftsführer der FBS durch einen allseits bekannten Sanierer, ersetzt, der an seinem robusten Willen zur Durchsetzung noch nie Zweifel gelassen hat. Die FAZ vom 9. März ist beeindruckt:
„Was im ersten Moment wie ein Akt schierer Verzweiflung wirkt – ein 70 Jahre alter früherer Manager übernimmt es, die Problembaustelle in Schönefeld bei Berlin in größter Eile zu einem funktionierenden Flughafen zu machen – , entfaltet bei näherer Betrachtung einigen Charme. Denn dass der Bahnchef a.D. und Air-Berlin-Chef a.D. ein tüchtiger Mann ist, bestreiten ihm nicht einmal seine Lieblingsgegner. Zimperlich darf man auf dieser Baustelle nicht sein, und Mehdorn ist das nicht im geringsten.“
Da kommt Zuversicht auf. Jetzt, so die nationale und hauptstädtische Hoffnung, wird endlich durchgegriffen. Das wird es wohl. Es wird eben per „ehrlicher Bestandsaufnahme“ jede Menge zusätzlichen Geldbedarfs ermittelt und bereitgestellt, mit dem jede Menge neuer Geschäfte gemacht werden.
Und wenn das Ding irgendwann, viele Milliarden später, fertig ist, ist damit eben nicht nur ein Flughafen fertiggestellt worden, sondern ein nationales Leuchtturmprojekt.
Merke: Es war schon immer etwas teurer, arbeitender und Steuern zahlender Bewohner eines Landes zu sein, das für seine Hauptstadt nichts weniger als einen Rang in der Championsleague der Weltstädte beansprucht. Das verleiht dem eigenen Führungsanspruch in Europa gebührenden Ausdruck.
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