Aktuell sind alle im “social distancing”. Und was wird man dabei? Der Autor zumindest fühlt sich wie ein social Distel-Ding.
Willkommen im größten sozialen Experiment der Welt.
Das sollte eigentlich die erste Schlagzeile sein, die einem gleich beim Aufstehen in‘s Gesicht schlägt. Denn wenn wir die ganzen anderen Schlagzeilen lesen, von Corona Toten und Wirtschaftsabschwung, und schmachtend aus dem Fenster in die „Freiheit“ blicken, sind wir nicht alleine. Wenn wir Angst haben, um uns und unsere Lieben, um unsere Jobs und unsere Pläne, sind wir nicht alleine. Auch wenn wir früher aufstehen um endlich wieder Klopapier kaufen zu können, wenn wir Nachts so lange den Fernseher laufen lassen, bis er sich selbst abschalten will, wenn wir uns mit unseren Mitgefangenen streiten, wenn wir unter dem Druck und der Angst zusammenbrechen und uns mehr schlecht als recht wieder aufrappeln: Wir sind damit nicht alleine.
Aktuell befinden sich auf dieser Welt Millionen, nein, sogar Milliarden Menschen in einer nachfühlbaren Situation. In Indien sind 1.3 Milliarden Menschen unter Ausgangssperre gestellt. In Europa sind alle Menschen dazu aufgerufen zu Hause zu bleiben, in vielen Staaten droht sogar die scharfe Klinge des Infektionsschutz-Gesetzes. In den USA werden in den nächsten Tagen vermutlich immer mehr Staaten dem Beispiel von Kalifornien und New York folgen und ihre Bürger unter Ausgangssperre setzen.
Wahrscheinlich ist es besser die Kontinente zu benennen: Afrika, Amerika, Asien, Europa, Ozeanien. Bis auf in der Antarktis ist das Virus auf allen Kontinenten der Treiber der Zeit. Es sind nicht mehr die Pläne der Menschen, die den Zeitgeist leiten, es ist diese unsichtbare Gefahr und unser Umgang mit ihr bzw. unsere Reaktion auf sie.
Das gilt sowohl auf die Menschheit bezogen als auch auf jede und jeden Einzelnen. Wer sich wie der Sprecher dieser Worte schon über 10 Tage im sogenannten „Social-Distancing“ befindet, also den Kontakt zur Außenwelt nur noch über Fernsprecheinrichtungen und Computer pflegt, weiß vermutlich was gemeint ist. Diese Tage, die man glücklich und zufrieden verbringt, die dann gefolgt werden von Tagen der Angst, der Wut, wieder hin zu einer Ermattung nur um sich dann wieder aufzurappeln. Dann kommt dieser Moment, in dem Mensch früher oder später realisiert: Auch wenn ich wieder raus darf, es ist nichts mehr wie zuvor. Die Pläne die vor der Krise als gesichert durchführbar galten, gehören jetzt bzw. wenn das alles vorbei ist, auf den Prüfstand. Und daran kann in der aktuellen Situation nichts, aber auch gar nichts geändert werden.
Und so befindet sich gerade jede und jeder immer wieder auf einer anderen Stufe der Realisation, Verdrängung oder Sublimierung der aktuellen Lage.
Wir sind zum „social distancing“ verdammt und nehmen seine Form an. Alle werden wir zu einem Social Distel-Ding… Mit Stacheln wie eine Distel, die Menschen verletzt, Distanz sucht und nicht berührt werden möchte.
Wenn wir verstehen, dass uns allen gerade die Decke auf den Kopf fällt, unsere Ängste überhand nehmen, wir auf uns selbst zurückgeworfen sind und den Ausweg aus unserer Situation nicht kennen, dann können wir vielleicht über die Marotten der anderen hinwegsehen. Wir können darüber sprechen, wie es uns geht und unser flaumiges Distelherz offenbaren. Letztlich müssen wir es noch länger aushalten. Wir und all die anderen Social Distel-Dinger in diesem größten sozialen Experiment der Menschheitsgeschichte.
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