Kunstaktion von Wolfram Kastner und Frank Brendle in Mittenwald

Ruhet sanft, Mörder!

Künstler Wolfram Kastner eingekastelt. Warum?

Von Claus-Peter Lieckfeld

Kunstaktion in Mittenwald gegen das Vergessen

Jagdszenen aus Oberbayern. Wolfram Kastner, 62, versucht seit Jahren, mit künstlerisch-politischen Aktionen Zeichen zu setzen: gegen das Vergessen. Wenn er dabei auf Kräfte stößt, denen an einem selektiven Vergessen gelegen ist, passiert, wie sich Claus-Peter Lieckfeld erklären ließ, zum Beispiel folgendes:

Herr Kastner, Mittenwald ist ein schönes, friedliches Städtchen. Sie klagen gegen die örtliche Polizei. Warum?

Ich habe am 15. Mai diesen Jahres zusammen mit Frank Brendle, einem Berliner Kollegen und Friedensfreund, eine Aktion vor der Kapelle der Stadtkirche in Mittenwald durchgeführt.

Das allein ist doch noch nicht strafbar, oder?

Eigentlich nicht, aber die Kapelle hat schon so ihre Besonderheiten. Dort werden unter dem gekreuzigten Christus unter anderem Kriegsverbrecher der Gebirgsjäger geehrt, die 1944 Massaker in Nordgriechenland angerichtet haben. Damals wurden in verschiedenen Dörfern Hunderte erschossen, Frauen, Kinder, Alte. Als Vergeltung für Partisanenaktionen.

Was heißt „geehrt“?

Sie sind dort per Foto und Traueranzeigen präsent, mit Haken- und Eisernem Kreuz. Und mit den üblichen Floskeln: … fürs Vaterland gefallen.

Worin bestand denn genau Ihre Aktion?

Wir haben uns mit weißgeschminkten Gesichtern und im Kampfanzug vor die Kapelle gestellt, jeder ein Foto eines der Massaker in der einen Hand und in der anderen ein Transparenttuch auf dem das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder, keine Helden“ steht. Dieses tableau vivant haben wir fotografisch dokumentiert.

Und darin sah die Poilzei eine Straftat?

Nein, nicht die örtliche Polizei, die hat nur unsere Ausweise kontrolliert. Aber nach einer Stunde, als wir bereits im Biergarten saßen, stürmten dann auf Anordnung des Staatsschutzes Weilheim und der Staatsanwaltschaft München zwei Polizeigruppen den Biergarten und haben uns festgenommen und in die Mittenwalder Polizeistation gebracht.

Wurde Ihnen gesagt, warum?

Nein. Es hieß „Mia diskutiern ned!

Wie ging`s weiter?

In der Poliziestation wurden wir auf Waffen untersucht. Der Fotograf unserer Aktion und mein Kollege Frank Brendle mussten sich nackt ausziehen. Dann wurden wir in Einzelzellen gesperrt, die eiskalt, licht- und fensterlos waren. Außerdem stank alles vor Dreck.

Und immer noch keine Begründung?

Man sagte uns nur, der Staatsschutz von Weilheim hätte das so angeordnet. Ich habe dann meinen Anwalt erreicht, der nach drei Stunden von Miesbach herüber kommen konnte. Etwa gleichzeitig mit ihm kam die Politische Polizei.

Und die hat nun endlich die Katze aus dem Sack gelassen?

Wenn man so will. Sie haben uns Verstoß gegen das Vermummungsverbot vorgeworfen … wir hatten unsere Gesichter weiß geschminkt. Und außerdem hätten wir einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz begangen.

Haben Sie gleich vor Ort dazu Stellung genommen?

Nein. Man hat ja so seine Erfahrungen. Ich habe allerdings gefragt, ob sie die Hakenkreuze in der Kapelle hinter der Stadtkirche kennen, und ob sie wüssten, dass Hakenkreuze in der Öffentlichkeit einen Straftatbestand darstellen? Dann ging es ein wenig heftig verbal zur Sache.

Auf die Plakataufschrift „Soldaten sind Mörder. Keine Helden.“ wurde kein Bezug genommen?

Nein. Vielleicht kann man das ja inzwischen sogar in Mittenwald als bekannt voraussetzen.

Wie ging es weiter?

Es wurden beschlagnahmt, ich zitiere aus dem Protokoll: zwei weiße Klebebänder, drei Barette, blau, rot und weinrot, ein Tarnanzung (Hose und Jacke), eine schwarze Schere, ein grünliches Etui mit Spiegel. Eine rote Blechdose mit Clownschminke.
Diese Gegenstände bekam ich übrigens nach drei Wochen zurückgesandt.

War die Sache damit amtlicherseits erledigt?

Nein. Die Staatsanwaltschaft München 2 hat gegen uns ermittelt, hat allerdings die Ermittlungen am 6. August eingestellt.
Ich habe dann eine Feststellungsklage gegen die Polizei angestrengt: Zur Feststellung  der Rechtswidrigkeit der Polizeiaktion, also der „Festnahme und anschließenden Freiheitsentziehung“ So heißt das amtlich.

Und was kam dabei heraus?

Das Amtgericht München bestätigte uns, dass die „Freiheitsentziehung durch Festhaltung objektiv rechtswidrig“ war. Ich habe daraufhin Klage auf Schadensersatz eingereicht wegen der Beiträchtigung meiner Persönlichkeitsrechte und meiner künstlerischen Arbeit.

Künstlerische Arbeit?

Ein Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit www.ikufo.de liegt darin, öffentliche Dialoge herzustellen, Dinge sichtbar zu machen, die gemeinhin verborgen bleiben.

Quelle: MAGDA, das Magazin der Autoren

Die Veröffentlichung des Artikels und des Fotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors Claus-Peter Lieckfeld.

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