Der Fall Hoeneß – Neue Sitten beim Steuerzahlen

Der „Vater Teresa vom Tegernsee, der Nelson Mandela von der Säbenerstraße“, wie ihn sein Kollege Rummenigge titulierte, stolpert über unversteuertes Geld in der Schweiz, und die ganze Nation ist schwer enttäuscht. Gleichzeitig hebt eine Kampagne für mehr „Steuergerechtigkeit“ an, die als Wert der Gesellschaft endlich wieder zur Geltung gebracht werden soll.
Was ist da los? Hat Hoeneß sich tatsächlich jetzt als ein gewissenloser Betrüger entpuppt? Oder hat er einfach nur das historische Pech gehabt, dass vom Staat auf einmal etwas als schwere Straftat mit aller Härte verfolgt wird, was bis vor wenigen Jahren als „Kavaliersdelikt“ galt? Damals empfahlen bekanntlich alle gewieften Bankberater ihren wohlhabenden Kunden, Geld ins Ausland zu transferieren, um die gar so drückende Steuerbelastung zu senken. Nun aber hat der Staat neue Saiten aufgezogen bei der Durchsetzung seiner Ansprüche auf das Geld der Bürger für seinen Haushalt, und so hat sich der herzensgute Mensch Uli plötzlich in den üblen Steuersünder Hoeneß verwandelt und so manchen armen Reichen hat es kalt erwischt.
Sie alle konnten sich bislang darauf verlassen, dass der deutsche Staat zwar alle seine Bürger fürs Steuerzahlen in die Pflicht nimmt, dabei aber ihren unterschiedlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum sehr wohl würdigt. In der Art und Weise des Steuereinzugs unterscheidet er nämlich zwischen zwei Klassen von Steuerbürgern. Da gibt es zum einen die, die große Mehrheit, deren Beitrag zum Wachstum darin besteht, möglichst viel Arbeit für möglichst wenig Lohn abzuliefern. Ihnen lässt der Staat die Steuer gleich „an der Quelle“ abziehen, nämlich vom Arbeitgeber bei der Lohnauszahlung, wohl wissend, dass bei dieser Klasse nachträglich nichts mehr zu holen, weil alles zum Lebensunterhalt verbraucht ist.
Ganz anders geht das Steuerzahlen bei den Bürgern, die als Kapitalbesitzer ihren Beitrag zum Wachstum der Wirtschaft leisten. Schließlich besteht ihr Beitrag gerade darin, dass sie ihren eigenen Reichtum vermehren, aus Geld mehr Geld machen. Wenn der Staat ihnen Geld wegnimmt, ist das ein Eingriff in ein Vermögen, in dessen Wachstum überhaupt der nationale Reichtum und dessen Vermehrung besteht. Daher ist für den Staat bei der Besteuerung dieser Klasse von Bürgern besondere Rücksicht geboten. Die Kapitalbesitzer dürfen daher selbst erklären, wie hoch ihr steuerpflichtiges Einkommen ist. Und alle Ausgaben und Investitionen, die der Vermehrung ihres Kapitals dienen, dürfen sie von ihrem zu versteuernden Einkommen abziehen, Das erscheint paradox: Der Staat braucht Geld, und da spricht doch nichts dagegen, es sich von denen zu holen, die genug davon haben und deren Lebensqualität darunter bestimmt nicht dramatisch leidet. Und umgekehrt: Warum ist der Staat mit aller Strenge hinter denen her, die sowieso wenig haben und für jeden zusätzlichen Euro froh sind? In Wahrheit ist das in diesem Wirtschaftssystem aber keineswegs paradox, sondern systemnotwendig. Das Geld der arbeitenden Menschheit ist erstens dafür da, dass sie sich über Wasser halten und dann immer wieder zur Arbeit gehen kann. Und zweitens ist es vor allem ihre Aufgabe, den Staat zu finanzieren: Der Steuerbetrag eines jeden einzelnen ist verglichen mit dem eines Reichen gering, aber die Masse macht’s: Lohnsteuer und Mehrwertsteuer tragen am meisten zum Steueraufkommen bei. Das Geld der Reichen ist hingegen dafür da, sich zu vermehren. Es ist dafür da, ständig in neue Geschäftsgelegenheiten investiert zu werden, die dann das Wirtschaftswachstum hervorbringen, das überhaupt den Reichtum der Nation darstellt und mit dem alles steht und fällt. Eben weil die Einkommensquelle der Reichen ihr Kapital ist, ist von Seiten des Staates Zurückhaltung geboten: Denn Kapital ist beweglich; es wandert schnell dorthin aus, wo ihm weniger abgezogen wird.
Kein Wunder, dass die Herrschaften, die ihr „Geld arbeiten“ lassen, sich die Freiheit nahmen, die ihnen gegeben wurde, und ihnen auch die heruntergerechneten Steuern immer noch zu viele waren, weswegen sie viele große Geldbeträge, sowohl geschäftliches wie privates Vermögen, vor dem Zugriff des Steuerstaates in Sicherheit, meist in auswärtigen Steuerparadiesen. Erlaubt war das zwar nicht, aber geduldet wurde es mehr oder weniger schon, solange das Bankgeheimnis dieser Länder noch etwas galt. Das gehörte einfach zu dem dazu, was man „Globalisierung“ nennt: Die Staaten hoben zunehmend einmal von ihnen selbst eingerichtete Schranken des internationalen Finanzverkehrs auf, denn das sollte – was ja auch geschah – das Wachstum des Finanzkapitals befördern. Daran wollten sie sich dann wiederum bedienen. Natürlich nicht in einvernehmlicher Absprache, sondern in Konkurrenz untereinander, weswegen zu ihrer heftigen Standortkonkurrenz günstige Steuergesetze und Finanzmarktregulierungen gehören, mit denen sie das internationale Finanzkapital als „Arbeitgeber“ und Investoren auf das eigene Territorium locken wollen.
Aber – dafür ist Uli Hoeneß das jüngste Beispiel – das sehen die Staaten jetzt etwas anders. Denn Ergebnis der nicht enden wollenden Nachwehen der Finanzkrise ist: Staaten, und zwar nicht gerade kleinen, droht der Bankrott. Nicht bloß die unmittelbar bedrohten, sondern alle Mächte, die sich einen kapitalistischen Laden eingerichtet und seinen Bestand zu garantieren haben, bleiben davon nicht unberührt – und so etwas schärft den Blick. Natürlich kann sich die Klasse der Kapitaleigentümer auch weiterhin darauf verlassen, dass für den Staat ihre Vermehrung des Kapitalreichtums weiterhin Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung und seine wirtschaftliche Grundlage ist. Aber wenn von Abermilliarden die Rede ist, die sich fast steuerfrei in der Welt herumtreiben, und wenn Staaten sich aufgrund ihrer Finanznot diesen Abzug nicht mehr leisten wollen und können, dann wird zunehmend gefragt, welche Helfershelfer den Steuerhinterziehern zur Seite stehen, welche „Geschäftsmodelle“ da konstruiert wurden, ohne die diese Steuerhinterziehung gar nicht möglich wäre. Da kommt man schnell – was logisch ist, weil man sie bis kurzem ja noch geduldet hat – auf die off-shore-Zentren, auf Länder wie die Schweiz, neulich auf Zypern und ganz aktuell auf Irland, das u.a. so einem großen Konzern wie Google mit Mini-Steuern und unter Ausnutzung divergierender nationaler Gesetzgebungen eine Zuflucht geboten hat – was dem US-Staat jetzt stinkt. Minister Schäuble spricht von „unlauterem internationalem Steuerwettbewerb“ und von „aggressiver Steuerplanung“, hat also Verständnis für den Unmut des US-Staates. Deshalb lassen große Staaten in einer auf den eigenen Nutzen berechneten Solidarität ihre Konkurrenz untereinander derzeit in den Hintergrund treten und setzen gemeinsam die Steueroasen mit allerlei politischen und ökonomischen Erpressungsmanövern unter Druck, wovon die Schweiz schon seit längerer Zeit betroffen ist. Das Ziel ist klar: Die Steuerflüchtlinge sollen jetzt durch Aufhebung des Bankgeheimnisses und automatischen Datenaustausch dem Zugriff ihres Heimatstaates ausgesetzt werden. Das ist also der Sachverhalt in der internationalen Staatenkonkurrenz um die Kosten für die Bewältigung der Krise. Was den netten Herrn Hoeneß angeht, so hatte er einfach den Fehler begangen, zu lange auf die alten Verhältnisse zu spekulieren.
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In der nationalen Diskussion, von „Bild“ bis Jauch, sieht die Sache freilich ganz anders aus: Da dreht sich alles um die Steuergerechtigkeit. Deren Freunde – und dazu gehören eigentlich alle, die pünktlich und regelmäßig ihren Steuerbeitrag abgezogen bekommen – melden sich zu Wort und empören sich über Steuerhinterziehung. Diese Gewohnheit der Reichen verletzt ihrer Meinung nach einen Anspruch, den das deutsche Gemeinwesen an alle gleichermaßen stellen muss: Sie sollen sich beteiligen an der Finanzierung des großen Gemeinschaftswerks Nation. Das ist schon ziemlich neben der Spur.
Schließlich kann man an der ganzen Affäre sehen, was für ein Gemeinschaftswerk das ist. Für den Staat dienen die einen der Nation, indem sie ihren Reichtum mehren und ihm davon ein bisschen was abgeben, die anderen, indem sie ihre Arbeit abliefern und sich Steuern abziehen lassen.
Von all dem erscheint in der Rede von der Gemeinschaft aller Steuerzahler nichts mehr. Es gilt: Zahlt so einer seine Steuern wie wir, dann ist er einer wie wir, obwohl er überhaupt keiner ist, wie wir. Kritikwürdig erscheint der Volksmeinung hingegen die laxe Verfolgung der Steuersünder. Früher, zu Zeiten intakter Schweizer und Liechtensteiner Bankgeheimnisse, war die notorische Steuerhinterziehung der Reichen dem kleinen Lohnsteuerzahler ein dauernder Anlass zum Genörgel über „die da oben“, ein Genörgel, mit dem er sich in seiner eigenen staatsbürgerlichen Rechtschaffenheit bestätigte. Jetzt aber, wo der Staat aus ganz anderen Gründen als der vorgeblichen „Herstellung von Steuergerechtigkeit“ die Schraube gegenüber den Steuerhinterziehern und ausländischen Steuerparadiesen anzieht, hat er den vollen Beifall aller Stammtische. In den Köpfen der braven Steuerzahler stellt sich die Angelegenheit nämlich genau verkehrt herum dar: Sie sehen in der neuen Härte des Staats als Steuereintreiber nicht die Folge der Krise, sondern einen Sieg der Moral, die für uns alle zu gelten hat. Jeder, der jetzt erwischt wird, ist ein Beweis dafür, dass jetzt endlich diese Moral auch gegen alle durchgesetzt wird.
Wenn diese moralische Messlatte an die Reichen angelegt wird und sie damit kritisiert werden, sind sie fein raus. Dann werden zwar „schwarze Schafe“ in ihren Reihen moralisch verdammt, aber die Klasse, zu der sie gehören, kann sich des Respekts für ihren unverzichtbaren Dienst an der Nation sicher sein: Schließlich hängen von der Bereicherung dieser „Leistungsträger unserer Gesellschaft“ – Steuermoral hin oder her – „unser aller Arbeitsplätze“ ab. Wenn nicht gar der Sieg in der Champions League.

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