Der praktische Zynismus demokratischer Wahlpropaganda Politiker werben mit den Zumutungen des von ihnen verwalteten Kapitalismus um Zustimmung der Betroffenen zu ihrem Regierungsauftrag

Was von der kommenden Regierung zu erwarten ist, weiß man spätestens seit dem so genannten TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück. Da haben sie klargemacht – ob sie nun allein oder zusammen regieren -, auf welche Zumutungen man sich in den nächsten vier Jahren gefasst machen muss.

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Die amtierende Kanzlerin Merkel ist sich des besten „Arguments“ für ihre Wiederwahl sicher. Sie verkündet gleich zu Beginn den 17 Millionen Zusehern eine unschlagbare Rekordmeldung: „Wir haben soviel Beschäftigte, wie wir noch nie hatten… Die Zahl der Erwerbstätigen bewegt sich auf Rekordniveau… mehr als 36 Millionen, so hoch wie noch nie seit der deutschen Einheit.“Arbeit auf Rekordniveau – in der deutschen Gesellschaft arbeiten so viele Leute wie noch nie… Für wen ist das eigentlich eine Erfolgsmeldung? Etwa für diejenigen, die sich da unter fixen Leistungsvorgaben abschuften, sei es im Niedriglohn- oder Normallohnsektor, mit oder ohne Überstunden, eben dem, was deutsche Arbeitsplätze so an „Gemütlichkeiten“ bereithalten? Oder ist es nicht doch eher ein Erfolg für die kleine Minderheit derjenigen, die 2013 zu einem billigeren Preis denn je Arbeit kaufen können und sie für die Vermehrung ihres Vermögens verrichten lassen und deswegen gar nicht genug von dieser rentablen Arbeit kriegen können? Und nicht doch eher ein Erfolg für die noch kleinere Minderheit der politischen Machthaber, die sich per Steuern auf Profite und Löhne einen Teil der Gelderträge aus Arbeit aneignen und damit ihre Machtmittel vermehren? Die oberste Chefin, Kanzlerin Merkel, buchstabiert mit ihrem „Arbeitsplätze“ Argumentjedenfalls den abhängig Beschäftigten klar vor, was sie von dieser Rekord-Erfolgsmeldung haben: Für Menschen ohne eigenes Vermögen gilt im Deutschland von 2013 mehr denn je eine wirklich üble Vergleichsrechnung, nämlich: ohne jede Arbeit ist man allemal noch schlechter dran als mit jeder Arbeit, auch wenn die noch so schlecht bezahlt ist. Und die Kanzlerin muss es ja wissen – sie hatte in ihren 8 Jahren Regierung genügend Zeit und Macht, um im Verein mit der privaten Macht der Unternehmer über die Arbeit die absolute Gültigkeit dieser schlechten Alternative zu erzwingen. Das Ergebnis: die Unternehmer haben mehr Geschäfte denn je mit billigerer Arbeit gemacht – präsentiert Merkel nun als Errungenschaft, die sie für die Menschen, die auf Arbeit angewiesen sind, herbeiregiert hat.

Die materiellen Nöte, welche sich die Menschen mit ihrer „Beschäftigung“ einhandeln, werden im Wahlkampf 2013 nicht verschwiegen, im Gegenteil. Dafür sorgt der Kandidat der Opposition – ausgerechnet. Steinbrück, einer der sozialdemokratischen Macher der Agenda 2010, wirft die Konsequenzen des Lohnsenkungsprogramms seiner Partei der Kanzlerin als politisches Versagen vor, um für sich daraus einen Regierungsauftrag zu schmieden: Seine Zahlen sind Auftakt für das Versprechen, dass er als Kanzler Deutschlands Beschäftigte am unteren Rand der Lohnskala nicht allein lässt, sondern ihnen mit der Alternative gesetzlicher Mindestlohn beispringt. Er übersetzt die Not der Menschen mit ihrer Arbeit in einen Antrag auf Beihilfe durch Politik: In voller Verantwortung vor dem Interesse „der Wirtschaft“ an niedrigen Löhnen verspricht Steinbrück 8,50 € in der Stunde als allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze. Das ist doch mal eine Perspektive für die Millionen Arbeitnehmer, die mit ihren jetzigen Löhnen darunter liegen: Unter 8,50 € muss offiziell keiner mehr arbeiten, so geht dann das Regime des deutschen Niedriglohnsektors weiter, auf das die 10 Millionen festgenagelt werden, nun sozialdemokratisch geregelt und ins Recht gesetzt durch den Mindestlohn. Dreizehnhundert Euro im Monat – das ist die aktuelle sozialdemokratische Definition, wo im bundesdeutschen Kapitalismus von 2013 Menschen „von ihrer Hände Arbeit“ leben können und damit „für ihre Familien selbst einstehen können“. Und Steinbrück sagt gleich noch dazu, wer davon auch noch ganz gut leben kann: Der deutsche Staatshaushalt, der von der Last des hundertausendfachen „Aufstockens“ befreit wird.

Die Kanzlerin will von einem allgemeinverbindlichen Mindestlohn nichts wissen, denn niedrige Löhne sind nun mal gut fürs Kapital und nur das schaffe Arbeitsplätze. Dann kommt sie Steinbrück noch mit einem interessanten Argument: Sein Mindestlohn würde noch nicht mal das Problem der Altersarmut lösen, weil „selbst bei einem Mindestlohn von 8,50 € 40 Jahre Arbeit nicht ausreichen, um eine Rente zu bekommen, die oberhalb sozialer Zuschüsse liegt.“ So frech sprechen Wahlkämpfer das Elend einer Lohnarbeiterexistenz an, wenn sie den politischen Konkurrenten miesmachen wollen: Die Kanzlerin rechnet den Leuten als Arbeitsuchenden vor, dass sie der Mindestlohn der SPD in die Arbeitslosigkeit stürzt, weil er zu hoch ist. Und denselben Leuten teilt sie als zukünftigen Rentnern ganz locker mit, dass sie nach 40 Jahren Arbeit unterm SPD-Mindestlohn nichts als Armut erwartet, weil er so niedrig ist!

Ganz Anwalt der sozial Schwachen, den er jetzt gerade gibt, knöpft sich Steinbrück dann die vor, die seiner Meinung nach ungerechtfertigte Privilegien genießen. Er sagt: „Es kann nicht sein, dass die Pensionen für diejenigen im öffentlichen Dienst besser behandelt werden oder stärker steigen als die aus der Umlage finanzierten gesetzlichen Renten.“ Sozialdemokratische Demagogen wissen genau, zwischen welchen sozialen Gruppen sie Zwietracht und Neid säen müssen, um sich als hart durchgreifende Kanzler der Gerechtigkeit zu qualifizieren: Alten Staatsdienern Geld wegnehmen, damit die von den Rentenreformen Betroffenen die moralische Genugtuung verspüren, dass auch alle andern hoheitlich geschädigt werden, und das soll man dem Kandidaten als Wähler hoch anrechnen. Prompt tritt die Kanzlerin als Anwalt der armen Beamten auf: „Das sind oft Menschen, die oft sehr sehr wenig verdienen… Wenn man Pensionen hört, denkt man immer an Staatssekretäre oder Ähnliches. Es sind aber Menschen, die ein sehr kleines Gehalt haben und die müssen jetzt mal aufmerksam bei der SPD nachfragen…“ Kaltlächelnd erinnert sie daran, dass die öffentlichen Arbeitgeber ihre Angestellten schon in der Dienstzeit und damit erst recht im Alter entsprechend kurzgehalten haben.

Merkel und Steinbrück befassen in ihrer Wahlpropaganda die Menschen auch noch mit den höheren Sorgen der Politik. Die Kanzlerin wirbt beim Wahlvolk, wie sehr sie sich um die Verringerung der Staatsschulden verdient gemacht hat: „Wir wollten es die letzten vier Jahre mit 262 Mrd. Schulden machen. Wir haben es mit 100 geschafft, ich würde mal sagen, das ist ein sensationelles Ergebnis…wir können beginnen, Schulden zurückzuzahlen.“ Millionen Leuten, welche sich damit herumschlagen, Marktwirtschaft und Sozialstaat ein Leben abzuringen, trägt sie allen Ernstes an, sich den Kopf der Herrschenden über deren Machtmittel zu zerbrechen. Die Wähler, die in ihrer Rolle als abhängig Beschäftigte oftmals von den Sozialleistungen des Staates leben müssen, sollen es der Regierungschefin hoch anrechnen, dass sie es mal wieder geschafft hat, mehr aus ihren Bürgern herauszuholen, dass „die Steuereinnahmen sprudeln“. Und sie will es honoriert haben, dass sie jede Geldleistung an die Bürger unter den Vorbehalt der stocksoliden Staatsfinanzen stellt. Merkel vereinnahmt die Menschen als deutsche Steuerzahler für die Überlegenheit deutscher Finanzmacht und stellt mit dem knappen Verweis auf Griechenland oder Portugal, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten, noch klar, dass diese Finanzmacht wirklich jeden Bürger etwas angeht: Der Vergleich mit den Krisenstaaten ist der sachdienliche Hinweis ans Wahlvolk, was ihm alles blüht, wenn die in Deutschland erfolgreiche Kumpanei zwischen Finanzinvestoren und staatlichen Schuldenmachern mal nicht mehr klappen sollte. Dann – und das ist der harte Kern der Werbung Merkels mit der von ihr betriebenen Finanzräson Deutschlands – opfern Politiker wie sie den normalen, alltäglichen Lebensprozess ihres Volks der staatlichen Anstrengung, das Vertrauen der Finanzmärkte wieder zu erringen. Eine weitere üble Alternative: Entweder stimmt ihr all den Härten zu, die ich euch unter dem Schlagwort „Verringerung der Staatsschulden“ verordne, oder ich rette meinen soliden Haushalt und damit das Vertrauen der Finanzmärkte noch ganz anders. Und Steinbrück? Der beschwert sich erbost, dass die Kanzlerin von „europapolitischer Unzuverlässigkeit“ der SPD spricht, also nicht anerkennen will, dass er und seine Partei das genauso sehen und es schließlich bei mehreren Abstimmungen im Bundestag bewiesen haben. Gemein findet er also nicht die Stellung der Kanzlerin zum Volk, sondern dass sie nicht würdigt, wie sehr in solchen „Schicksalsfragen der Nation“ auf die SPD Verlass ist.

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