Veranstaltung: Syrien – ein Fall für den Kampf der USA um ihre Führerschaft in der Welt

Verstörend“, „entsetzlich“, „ungeheuerlich“ findet die Weltöffentlichkeit im August 2013, dass im syrischen Bürgerkrieg bei einem größeren Massaker über Tausend Menschen auf einen Schlag durch den Einsatz von Chemiewaffen sterben. Keine Frage: Da muss man helfen, Mitmenschlichkeit ist verlangt. Und wie sieht diese Mitmenschlichkeit aus? Der einhellige Tenor der Öffentlichkeit: Der ausgemachte Übeltäter Assad muss „nun endlich“ und vor allem „angemessen“ bestraft werde. „Angemessen“, und auch darin ist sich die Öffentlichkeit einig, ist einzig und allein ein wuchtiger Militärschlag, von dem sich der syrische Machthaber so schnell nicht erholt, den er am besten nicht überlebt. Offenbar ist in der zivilisierten westlichen Welt die Auffassung durchgesetzt, dass Bürgerkriegsopfer genau eines, das aber zweifelsfrei verdienen: überlegene Kriegsgewalt. Die macht sie zwar nicht wieder lebendig macht, sühnt aber das an ihnen begangene Unrecht; das ist auf jeden Fall die zahlreichen neuen Opfer wert, mit denen für den Fall der geforderten Strafvollstreckung alle fest rechnen.

Das ist eine militante Moral, und deren Vertreter wissen auch, an welche Instanz sie sich mit ihren Verurteilungen und ihren ideellen Strafbefehlen wenden müssen: die überlegene Militärmacht USA ist der selbstverständliche Adressat aller moralischen Aufwallung. Und die Weltmacht präsentiert sich ja auch selbst als der berufene Auftragnehmer aller gerechten Anliegen in Sachen internationaler Gewaltausübung. Dazu passt es, dass ihr Präsident Amerika zum eigentlichen Opfer des Giftgasangriffs erklärt: Betroffen durch den Einsatz chemischer Waffen in Syrien, also auch herausgefordert, erklärt sich die Weltmacht, weil damit eine „rote Linie“ überschritten sei, welche doch sie weltöffentlich gezogen hat. Das kommt in der Öffentlichkeit gut an. Ab sofort beschäftigt sie sich nur noch mit der Frage, ob die amerikanische Politik diesem Anspruch auch gerecht wird. Da steht nämlich was ganz Wichtiges auf dem Spiel: die „Glaubwürdigkeit“ der USA. Die steht und fällt mit dem Nachweis ihrer überlegenen Gewalt und der Bereitschaft sie einzusetzen; oder umgekehrt: Daran darf sie keinen Zweifel aufkommen lassen. Offenbar ist dem abendländischen Humanismus völlig selbstverständlich, die unantastbare Menschenwürde syrischer Vorstadtbewohner mit der Unantastbarkeit amerikanisch-westlicher Schiedshoheit über jedes größere Gemetzel auf der Welt gleichzusetzen.

Der Commander in Chief, Barack Obama, verfügt über das weltweit größte Arsenal an Massenvernichtungswaffen. In eben dieser Position nimmt er sich die Freiheit heraus, deren chemische Variante in syrischer Hand und ihren ungestraften Einsatz in der Nähe von Damaskus zur aktuell schlimmsten Geißel der Menschheit zu erklären: Das sei der Anfang vom Ende der zivilisierten Welt, wie „wir“ sie kennen und wollen – wenn „wir“ nicht reagieren. Denn damit sehe sich jeder Schurke zu ihrem Erwerb und Einsatz ermuntert. Das malt Obama zu dem Schreckensbild aus, dass „unsere Soldaten“ auf ihren diversen Schlachtfeldern demnächst wieder mit Giftgas angegriffen werden. Auch dies trifft in der Öffentlichkeit auf ein wohlwollendes Echo. Offenbar ist den verantwortlich denkenden Mitgliedern der westlichen Wertegemeinschaft auch das völlig vertraut: Die Welt ist voller Feinde des Westens und seiner Führungsmacht. Warum eigentlich? Gibt es einen Grund für diese Feindschaft? Egal! Und die Brutalität der Waffen dieser Schurken bemisst sich daran, wie sehr sie damit dem Anspruch Amerikas auf den ungestörten weltweiten Einsatz seiner Truppen und Verbündeten verletzen oder verletzen könnten. Womit feststeht, dass der größtmögliche Gefallen für die Menschheit in der gründlichst möglichen Beseitigung aller Waffen besteht, die den Feinden des Westens irgendeine Art Schutz vor den überlegenen westlichen Gewaltmitteln bieten könnten.

An einen Einstieg in den Bürgerkrieg, der den zur Entscheidung brächte, ist jedoch nicht gedacht. Mit seiner demonstrativ betonten Zurückhaltung beim Einsatz seines Gewaltpotenzials, macht Präsident Obama deutlich, dass der ganze Kriegsschauplatz Syrien für ihn nichts weiter ist als ein Fall, ein bloßer Anlass für eine viel weiter reichende Offensive, zu der er sich als Chef der imperialistischen Führungsmacht herausgefordert sieht. Aber nicht wenige Beobachter des Weltgeschehens sehen da eine ganz andere Art von Selbstbeschränkung. Gemessen an ihren Vorstellungen, wie eine überzeugende Weltmacht Unholde in den Reihen der Völkergemeinschaft zur Räson zu rufen hätte, nimmt sich die Zurückhaltung des Präsidenten wie ein Dokument der Schwäche aus, die Amerika in Sachen Leadership an den Tag legt. Da sie ihn ansonsten gut verstanden haben, wollen sie offenbar nicht zur Kenntnis nehmen, was er ihnen zu verstehen gibt, denn alle politischen Berechnungen der Führungsmacht, die ihr Führer vor versammelter Weltöffentlichkeit zur Begründung seines dosierten Vorgehens gegen das Regime in Syrien anführt, dokumentieren nur eines: den unbedingten Willen dieser Macht, ihrem Aufsichtsmonopol Geltung zu verschaffen, und ihre ziemlich unbegrenzten Möglichkeiten, es auch praktisch wirksam auszuüben.

Der Militärschlag bleibt also einstweilen aus. Stattdessen entfaltet Amerika auf der Grundlage seiner aufrechterhaltenen Androhung militärischer Gewalt neben dem Bürgerkrieg, den es weiterlaufen lässt, eine Diplomatie mit Russland zur Beseitigung der syrischen Chemiewaffen. Das gibt der überraschten bis enttäuschten Öffentlichkeit zu denken: Hat der amerikanische Präsident in seiner Kriegsmüdigkeit womöglich den Russen einen billigen diplomatischen Triumph verschafft, weil er sich es ersparen wollte, seinen starken Worten auch Taten folgen zu lassen? Hat er die Russen wirklich ins Boot geholt oder sich nur selber über den Tisch ziehen lassen? Offenbar besteht aufgeklärter westlicher Humanismus heutzutage auch in der Gewissheit, dass die vielgepriesene zivilisatorische Errungenschaft namens Diplomatie nur in eine Richtung zu gehen hat: Sie ist nicht dafür da, einen Krieg abzublasen, sondern ausschließlich dafür, ihn mit anderen Mittel fortzusetzen. Alles andere käme sofort einem Eingeständnis mangelnder Führungsstärke gleich – und das darf nicht sein.

Bei so viel Parteilichkeit für überlegene westliche Weltaufsicht bleibt von deren Gehalt und Zweck ebenso wenig übrig wie vom Stellenwert ihrer militärischen und diplomatischen Mittel und Formen. Darum soll es auf der Veranstaltung gehen: Welchen Anspruch sieht Obama mit dem Chemiewaffeneinsatz in Syrien verletzt? Was bezweckt und welchen höheren machtpolitischen Zwecken dient seine Waffenkontrolldiplomatie, die als „Zurückhaltung“ von den einen gelobt und von den anderen getadelt wird? Welche Bedeutung hat die Einigung mit Russland, Syrien zur Vernichtung seines chemischen Waffenarsenals zu nötigen, eine Diplomatie, die alle anderen Mächte zu Zuschauern in der zweiten Reihe degradiert? Kurz: Es soll um Syrien als ein Fall für den Kampf der USA um ihre Führerschaft in Sachen Weltaufsicht gehen.

Zeit: Donnerstag, 19.12. 2013, 19 Uhr

Ort: EineWeltHaus, Schwanthalerstr. 80, RGB, Raum E 01,

80336 München, U-Bahn-Haltestelle Theresienwiese U 4/5

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