„Interventionen“ der „Zivilgesellschaft“ – Thesen und Gegenthesen aus der Zeitung gegen den Krieg

Inzwischen stehen in immer kürzeren Abständen „Interventionen“ der Nato oder der USA auf der Tagesordnung. Dabei stellt bereits der Begriff „Intervention“ eine Verharmlosung dar. Es geht in Wirklichkeit immer um militärische Eingriffe, im Klartext: um Kriege. Die Ziele dieser „Interventionen“ waren: der Irak 1991, Kosovo/Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003, Libyen 2011, Syrien und Iran 2012. Immer wird argumentiert: Es gehe um Menschenrechte; das Völkerrecht müsse „fortgeschrieben“ werden. Untersuchen wir die grundlegenden Thesen derjenigen, die „Interventionen“ fordern, und konfrontieren wir diese mit den realen Interessen von USA, EU und Nato und mit den Interessen der Menschen vor Ort selbst.

These 1: Grundsätzlich muss es das Recht und die Möglichkeit geben, gegen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, um mit Militär und militärischem Eingreifen die Menschen vor Ort vor Diktaturen und Unterdrückung zu schützen.

Antwort: Es gibt im Völkerrecht und in der Charta der Vereinten Nationen das allgemeine Prinzip der strikten Ablehnung von militärischen Interventionen. Nur in sehr spezifischen Situationen gestattet die UNO nach Kapitel VII, Artikel 39ff ein militärisches Eingreifen der Weltgemeinschaft – so bei einer „Bedrohung“ oder bei einem „Bruch des Friedens“ und bei der Durchführung von „Angriffshandlungen“. Für den Fall, dass der Sicherheitsrat der UN tatsächlich die Notwendigkeit eines militärischen Eingreifens u.a., wegen „Bruch des Friedens“ sieht, legt die UN-Charta fest, dass die UN-Mitgliedsländer den Vereinten Nationen „auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen“. Ein solches „unparteiisches“ militärisches Einschreiten durch die UN selbst gab es bisher nicht. Stattdessen wurde bei den Interventionen, die von der UNO (und deren Sicherheitsrat) abgesegnet wurden, das militärische Kommando an einzelne Staaten delegiert – so im Koreakrieg 1950-52 an die USA. Doch eben dieses Delegieren hatte die vorhersehbaren, negativen Folgen. Die Spaltung Koreas am Ende des Korea-Kriegs und die Schaffung des Staates Südkorea, der viele Jahrzehnte diktatorisch beherrscht und der ebenso lange ökonomisch eine Kolonie der USA war, waren die logische Folge.

These 2: Aber es gibt doch inzwischen eine Fortschreibung des Völkerrechts. Damit wirddie Zivilgesellschaftden neuen Herausforderungen, die es seit Ende des 20. Jahrhunderts gibt, gerecht.

Antwort: Eine „Fortschreibung des Völkerrechts“ gibt es nur in der westlichen Propaganda. Die Völkergemeinschaft hat sich nie auf eine solche „Fortschreibung“ geeinigt. Im Völkerrecht und in der UN-Charta gelten weiterhin die beschriebenen strikten Bestimmungen der Ablehnung militärischer Interventionen. Bei so gut wie allen militärischen Interventionen wurde behauptet, man interveniere zur Verteidigung von Menschenrechten. In Wirklichkeit ging es immer in erster Linie um die materiellen Interessen derjenigen, die intervenierten.

These 3: Spätestens seit dem Kosovo-Krieg 1999 gibt es eine neue Situation. Dort konnte mit militärischen Mitteln die flächendeckende Verletzung der Menschenrechte der kosovarischen Minderheit in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien beendet werden.

Antwort: Gerade der Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, gemeinhin als „Kosovo-Krieg“ bezeichnet, verdeutlicht die Problematik. Diese militärische Intervention wurde bewusst ohne jegliche Zustimmung der Vereinten Nationen – also bei eindeutigem Bruch des Völkerrechts – durchgeführt. Im Krieg wurden in der Region ein erheblicher Teil der Infrastruktur durch massive Bombardements zerstört und große Gebiete mit uranhaltiger Munition verseucht. Im heutigen „befreiten“ Kosovo existiert eine Rekordarbeitslosigkeit von rund 50 Prozent.

Mit den militärischen Interventionen von USA und Nato auf dem Balkan seit den 1990er Jahren wurde im übrigen eine langfristige Interessenspolitik verfolgt: Bis 1945 gab es auf dem Balkan periodisch Kriege und massive Konflikte. In diesen spiegelten sich die Großmachtinteressen der europäischen Mächte wider. Mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die bereits 1943 im Kampf gegen die deutsche Besatzung gebildet wurde, wurde erstmals in dieser Region ein Staatenbund geschaffen, mit dem die selbstzerstörerischen Prozesse weitgehend beendet wurden. Ein knappes halbes Jahrhundert lang entwickelte sich die Region ohne die traditionellen Bruderkriege. Seit 1990 wurde die Bundesrepublik Jugoslawien Teilstaat für Teilstaat zerschlagen. Dies war in starkem Maß das Resultat der Politik der „alten“ Großmächte in Europa, insbesondere Ergebnis deutscher Politik – unterstützt und begünstigt durch nationalistische Strömungen in den ehemaligen Teilstaaten, so in Kroatien mit Franjo Tudjman und in Serbien mit Slobodan Milosevic. Der „Kosovo-Krieg“ bildete nur eine vorläufig letzte Station bei der Wiederkehr einer alten Wirtschaftsordnung, in der der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.

These 4: Im Vorfeld solcherInterventionengab es drastische Ereignisse, die ein umgehendes Eingreifen der Staatengemeinschaft erforderlich machten.

Antwort: Es gab drastische Ereignisse dort, wo sie in der Debatte über „Interventionen“ interessanterweise nicht erwähnt werden. So gab es in den 1970er Jahren in Kambodscha ein Terrorregime der Roten Khmer. Im Dezember 1978 marschierte die vietnamesische Armee in Kambodscha ein und beendete den Völkermord in großen Teilen des Landes. China, die USA und ein großer Teil der westlichen Regierungen – so die westdeutsche Regierung in Bonn – unterstützten jedoch weiterhin durch ihre diplomatische Anerkennung die Roten Khmer, die in Teilen Kambodschas weiter herrschten und mordeten, sodass es erst Mitte der 1990er Jahre zu einer Befriedung des Landes kam. Erneut waren es spezifische Machtinteressen, die die Politik in Washington und in der EG (EU) beherrschten. Diejenigen „drastischen Ereignisse“, die in den letzten Jahren zur Begründung von „Interventionen“ medial präsentiert wurden, erwiesen sich fast immer als Lug, Trug & Fälschung. 1990 wurde in allen westlichen Medien das Mädchen Nayirah präsentiert, das über eine Aktion irakischer Soldaten in einem kuweitischen Krankenhaus berichtete, bei welcher Frühgeborene aus den Brutkästen gerissen und getötet wurden. Der Bericht war komplett erfunden; er diente jedoch zur Begründung der westlichen Intervention (Irak-Krieg 1991). 1999 wurde in den westlichen Medien behauptet, die jugoslawische (serbische) Regierung unter Milosevic verfolge einen „Hufeisenplan“ zur Vertreibung der albanisch sprechenden Bevölkerung im Kosovo. Doch diesen Plan hatten die Nato und der damalige deutsche Verteidigungsminister Scharping erfunden. 2003 wurde behauptet, das Regime unter Saddam Hussein in Bagdad verfüge über Massenvernichtungswaffen. Das war unwahr, konnte jedoch zeitweilig den neuen Irak-Krieg begründen.

These 5 oder die verbleibende OFFENE FRAGE: Wenn es mit Blick auf die Menschenrechte keine überzeugende Begründung für militärische Interventionen gibtwas sind dann die Motive und Gründe für sie?

Antwort: Wir leben in einer kapitalistischen Weltwirtschaft, in der in erster Linie die Interessen der großen Nationalstaaten und Wirtschaftsblöcke, hinter denen sich wiederum die nationalen oder regionalen Konzerne und Banken mit ihren spezifischen Interessen verbergen, zur Geltung kommen. Die jüngeren Kriege im Nahen und Mittleren Osten und in Afghanistan sind von den Interessen der westlichen Ländern im allgemeinen und der USA im besonderen bestimmt. Es geht vor allem um die Frage, wer angesichts von „peak oil“ die entscheidenden letzten Ölreserven bzw. die Öltransportwege kontrolliert. Das Eingreifen der Nato in Libyen war mit dadurch bestimmt, dass die demokratische Massenbewegung im gesamten arabischen Raum für die Regierungen in Europa, Japan und Nordamerika als Bedrohung erscheint – u.a. weil damit am Ende (zu Recht) der Ölpreis ansteigt. Es wurde – erfolgreich – versucht, den demokratischen und friedlichen Protest einzudämmen und einen Krieg und Bürgerkrieg zu entfachen. Die aktuelle Politik der EU und der USA gegenüber dem Iran und Syrien wird nicht von der Verletzung der „Menschenrechte“ bestimmt. Diese werden von den Regimes in Damaskus und Teheran ohne Zweifel massiv verletzt. Doch sie werden – um nur ein Beispiel zu nennen – ebenso in Saudi-Arabien mit Füßen getreten – was vom Westen mit Waffenlieferungen an das saudische Regime honoriert wird. Es geht den westlichen Regierungen bei der aktuellen Politik gegenüber Syrien und dem Iran um die strategische Vorherrschaft in derjenigen Region, in der die entscheidenden Öl- und Gasvorkommen lagern. Bevor man einen direkten Angriff auf den Iran durchführt oder durch die israelische Armee durchführen lässt, soll die Verbindung Teheran – Damaskus gekappt werden. Die USA, die Nato und die EU legen derzeit einen Ring um den Iran. Sie orientieren damit auf den nächsten Krieg, in dessen Zentrum erneut die Kontrolle über die strategischen Ölreserven stehen würde.

Damit wird in keiner Weise bestritten, dass in Syrien die vielen friedlichen Demonstrationen und Proteste gegen das autoritäre Regime berechtigt sind. Doch es ist auch deutlich, dass diese Proteste autonom bleiben müssen: Die syrische Gesellschaft muss selbst und ohne westliche Intervention über die Zukunft des Landes entscheiden. Die Friedensbewegung kann nur den friedlichen Protest der Bevölkerung unterstützen. Sie muss sich gegen jede Umwandlung des Konflikts in einen Krieg und Bürgerkrieg und gegen jede westliche Intervention aussprechen.

Aus: Zeitung gegen den Krieg –ZgK, Heft 33. Die ZgK enthält in jeder Ausgabe auf Seite 2 einen grundlegenden Artikel, der in Form von Thesen und Antworten ein Thema behandelt, das in der aktuellen Auseinandersetzung um Krieg und Frieden eine zentrale Rolle spielt.

Mehr Informationen bekommen Sie auf Nachfrage unter zeitung-gegen-den-krieg@gmx.de

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